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Saufen bis der Notarzt kommt

Alarmierend: Immer häufiger müssen Rettungsdienste betrunkene Kinder und Jugendliche versorgen.

Mit großer Sorge berichten Würzburger Rettungsdienste von einer Zunahme alkoholbedingter Einsätze. Vor allem Kinder und Jugendliche machen sich mit Trinkexzessen immer häufiger zu Notfallpatienten. Gesundheitsamt und Universitätskinderklinik sammeln indes erste Erfahrungen mit einem Frühinterventionsprogramm für eingelieferte Minderjährige.

Für BRK Notarzt Dr. Martin Kraus gehören alkoholisierte Jugendliche schon zum Einsatzalltag. "Der T-Shirt Slogan ?Saufen bis der Notarzt kommt' wird vor allem Freitag- und Samstagnacht immer häufiger umgesetzt", stellt der 42jährige Anästhesist fest. Vor Ort treffe er oft auf tiefbewusstlose Patienten, andere werden bei Schlägereien oder Stürzen verletzt. "Bei Kindern und Jugendlichen sind meist Alcopops oder harte Drinks mit im Spiel".

Prof. Dr. Peter Sefrin, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte, bestätigt "in den letzten zwei Jahren eine schlagartige Entwicklung, die es früher so nicht gegeben hat". Seiner Einschätzung nach steckt hinter dem autoaggressiven Alkoholkonsum oft die Suche nach Anerkennung bei Gleichaltrigen.

Die Beobachtungen der Würzburger Rettungsdienste entsprechen dem bundesweiten Trend, wir haben es hier nicht mit einem lokalen Problem zu tun", berichtet Martin Heyn, Suchtexperte am Gesundheitsamt. Das Durchschnittsalter für den ersten Alkoholkonsum liege aktuell bei 12,8 Jahren. Für den ersten Alkoholrausch bei Jugendlichen liege das Durchschnittsalter bei erschreckenden 13,8 Jahren.

Einsätze mit alkoholisierten Jugendlichen stellen die Rettungsdienste vor besonderen Herausforderungen. "Entweder reagiert die Freundin hysterisch oder die Kumpels wollen den Trinkexzess vor den Eltern verheimlichen und den Patienten von der Trage weg mit nach Hause nehmen", berichtet Ernst Freier, Rettungsassistent bei den Maltesern. Es gebe aber auch Freunde, die vernünftig reagieren und die Rettungskräfte  nach Möglichkeit unterstützen. Wo die Sanis mit Überzeugungsarbeit nicht weiterkommen, muss die Polizei für einen störungsfreien Einsatzablauf sorgen. Zu Handgreiflichkeiten gegen die Lebensretter kommt es nur selten.

Vor allem im Landkreis erscheinen betroffene Eltern oft noch an der Einsatzstelle während der Rettungsdienst vor dem Abtransport ihr Kind versorgt. "Da sind die Wege zum Jugendtreff, zum Zeltplatz oder zum Partykeller kurz", erläutert Rettungsdienstleiter Alexander Nöth von den Johannitern. Die meisten Eltern reagieren betroffen, sind über das Verhalten ihres Nachwuchses angeblich überrascht. "Es gibt aber auch Väter welche die Alkoholvergiftung ihres Jünglings bagatellisieren und noch im Blaulichtschein darüber lachen", ergänzt Nöth verständnislos.

Wenig lachen können BRK Rettungsassistent Thorsten Stadler und seine Kollegen wenn es ihnen nicht rechtzeitig gelingt, den Brechbeutel in die richtige Position zu bringen. "Nicht nur dass die anschließende Reinigung und Desinfektion des Rettungswagens ekelerregend ist, der damit verbundene Fahrzeugwechsel kostet Zeit die wir beim nächsten Patienten vielleicht noch brauchen".

Transportziel Krankenhaus oder reicht doch bei Erwachsenen die Ausnüchterungszelle bzw. bei Jugendlichen die elterliche Überwachung? Vor diese Frage werden Notärzte und Rettungsdienstpersonal regelmäßig gestellt. "Eine außerordentlich schwierige Frage", kommentiert Prof. Dr. Peter Sefrin. Der Alkoholtest der Polizei könne auch keine Orientierung geben.

Während sich die Frage der Behandlungsbedürftigkeit bei Bewusstlosen oder Verletzten gar nicht stellt, so könne auch bei alkoholisierten Personen eine gesundheitliche Gefährdung nicht ganz ausgeschlossen werden. "Neben der Gefahr im Schlaf Erbrochenes einzuatmen, kann ein extremer Alkoholkonsum auch eine lebensgefährliche Unterzuckerung auslösen". Ersthelfern empfiehlt der Notfallmediziner, stark alkoholisierte Personen in die Stabile Seitenlage zu legen und geeignete Maßnahmen zur Wärmeerhaltung zu ergreifen.

Auf der Suche nach einem Konzept, um dem Extremtrinken bei Jugendlichen Einhalt zu gebieten, haben das Gesundheitsamt und die Universitätskinderklinik das in anderen Bundesländern bereits erfolgreich laufende Projekt HALT übernommen. Demnach werden in der Kinderklinik eingelieferte Patienten am Morgen nach ihrer stationären Aufnahme von einer Suchtfachkraft aufgesucht. "Zusammen mit den betreffenden Eltern versuchen wir die Gründe für den Trinkexzess herauszufinden um so weitere zu vermeiden". Demnächst will das Gesundheitsamt die Kooperation auch anderen Krankenhäusern anbieten.

Bild: Stefan Schwarz
Text: Paul Justice


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