Herkunft und Kindheit von Henry Dunant
Die Freude im vornehmen Haus an der Rue Verdaine 268 (heute Nr. 12) in Genf am Donnerstag Abend, dem 8. Mai 1828, war riesig und die Erleichterung groß. Die zarte Anne-Antoinette Dunant-Colladon (1800 bis 1868) hatte ihr erstes Kind, den Knaben Jean-Henri zur Welt gebracht.
Henry Dunant stammte aus begütertem Haus. Der Vater Jean-Jacques Dunant (1789 bis 1875) war ein erfolgreicher Kaufmann. Er gehörte dem Conseil Représentatif, der damaligen Legislative der Stadt Genf, an und kümmerte sich um Waisen und Vorbestrafte. Henry Dunants Mutter war eine Tochter von Henri Colladon, dem Leiter des Genfer Krankenhauses und Bürgermeister von Avully bei Genf. Sie war im wohltätigen Bereich vor allem für Arme und Kranke tätig.
Als Henry sechs Monate alt war, bezogen seine Eltern das neu gebaute Landhaus „La Monnaie“ mit wunderbarem Blick auf den Genfer See. An diesen Ort dachte Henry Dunant später oft voller Sehnsucht. Hier kamen in den folgenden sechs Jahren seine vier Geschwister, Sophie-Anne, Daniel, Marie und Pierre-Louis, zur Welt. Henry Dunants Vater war ein ausgeglichener Mann. Die zehn Jahre jüngere Mutter war oft krank und musste häufig das Bett hüten.
Henry Dunants Jugendjahre in Genf
Genf war eine Universitätsstadt mit angesehenen Wissenschafts- und Kunstinstituten. Gleichzeitig war sie eine wichtige Handelsstadt und ein bedeutender Industriestandort. Die Stadt am Genfer See war geprägt von den Ideen des Reformators Johannes Calvin. Die calvinistische Überzeugung besteht darin, dass Gott Fleiß liebt und Müßiggang bestraft. Arme sind demnach an ihrem Zustand selber schuld.
Diese Überzeugung konnte die soziale Misere der Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung nicht verhindern, so dass in der Stadt eine wachsende Zahl von Hungernden, Bettlern und Waisen strandete. Der Wandel in der Landwirtschaft und der Einsatz von Maschinen in neu gebauten Fabriken hatten zahlreiche Kleinbauern und Heimarbeiter ihrer Lebensgrundlage beraubt. Diese zogen daraufhin in die sich entwickelnden Industriezentren. Ganz ähnlich, wie es heute in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern passiert.
Diese Überzeugung konnte die soziale Misere der Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung nicht verhindern, so dass in der Stadt eine wachsende Zahl von Hungernden, Bettlern und Waisen strandete. Der Wandel in der Landwirtschaft und der Einsatz von Maschinen in neu gebauten Fabriken hatten zahlreiche Kleinbauern und Heimarbeiter ihrer Lebensgrundlage beraubt. Diese zogen daraufhin in die sich entwickelnden Industriezentren. Ganz ähnlich, wie es heute in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern passiert.
Henry Dunant war sehr empfindsam und entwickelte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er begleitete seine Mutter auf ihren regelmäßigen Gängen zu den Armen und Kranken in die schmutzigen Hinterhöfe der Unterstadt. Einmal reiste Henry mit seinem Vater nach Toulon, wo er sah, wie grausam die Strafgefangenen behandelt wurden. Für ihn war das prägend. Er erkannte, dass man gegen das Elend der Welt als Einzelner nichts ausrichten kann, sondern sich zu einer größeren Organisation zusammenschließen muss. Ein erster Bruch fand in seinem Leben statt, als Henry Dunant mit 14 Jahren von seiner weiterführenden Schule, dem Collège Calvin verwiesen wurde, nachdem er zweimal durchgefallen war. Er bekam noch kurze Zeit Privatunterricht und begann auf Wunsch seines Vaters mit 19 Jahren eine Banklehre. Die Ausbildung beendete er mit Erfolg und blieb im Anschluss als Angestellter bei der Bank beschäftigt.
In der Zwischenzeit widmete sich Henry seinem karikativen Engagement. Er trat 1846 der "Gesellschaft für Almosenspenden" in Genf bei. Ein Jahr später gründet er die so genannte "Donnerstags-Vereinigung". Dort trafen sich junge Menschen zu Bibelstudien. Sie besuchten Hungernde, Kranke, und Gefangene und lasen ihnen aus der Bibel und Predigttexte vor. Am 30. November 1852 gründete er die Genfer Gruppe des Christlichen Vereins junger Männer (CVJM). Drei Jahre später entstand auf seine Initiative der Weltbund des CVJM. Von 1852 bis 1859 war er Sekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz.
Im Jahr 1854 änderte Dunant seinen Vornamen von Henri in Henry. In einem neuen Adressbuch hatte er unter den vielen Dunants eine Stiefelnäherin namens Henri Dunant gefunden. Mit dieser wollte er nicht verwechselt werden.
Der Geschäftsmann Henry Dunant
In Europa brach das Kolonisierungsfieber aus. Zwischen 1830 und 1840 eroberte Frankreich in mehreren Feldzügen Algerien. 1853 erhielt Henry Dunant von zwei Kunden seiner Bank den Auftrag, die Gegend um Sétif in Algerien zu inspizieren, um dort zehn Dörfer für Landarbeiter aus der Westschweiz zu errichten. Auf verschiedenen Reisen nach Algerien erlebte er, wie schnell entschlossene Investoren zu Vermögen kamen. Ihm entging aber auch nicht das Los der neuen Arbeiterscharen, die bis aufs Blut ausgenutzt wurden. Sklavenhaltung und -handel waren noch immer lukrativ. Dunant handelte sehr erfolgreich mit Haifischen, Getreide und Holz. Der Bey von Sétif (Oberbefehlshaber, Finanz- und Innenminister) zeichnete den jungen Genfer mit dem Orden „Nicham Iftikar“ aus.
Dunant bewarb sich um Land und gab den Bau einer modernen Mühle in Auftrag, um Weizenmehl produzieren und nach Europa exportieren zu können. Das Kapital dazu bekam er von Verwandten und Bekannten in Genf, die für eine halbe Million Schweizer Franken (heutiger Wert zwölf Mal mehr) Aktien der Gesellschaft der Mühlen von Mons Djémila zeichneten. Dunant versprach eine Rendite von zehn Prozent und man glaubte es ihm. Aber das zuständige Ministerium in Paris teilte ihm für sein Unternehmen viel zu wenig Land und Wasser zu. Dunant sprach immer wieder vor, machte Eingabe um Eingabe, ließ Verbindungen spielen. Ohne Erfolg.
Grösste Jugendorganisation mitgegründet
Nach den Treffen mit seinen Freunden zum wöchentlichen Bibelstudium gründete Henry Dunant die Gruppe des Christlichen Vereins junger Männer. 1852 bis 1859 leitete er die Schweizerische Evangelische Allianz. Wenig später entstand durch seine Initiative der Weltbund des CVJM - heute als Christlicher Verein Junger Menschen mit 45 Millionen Mitgliedern eine der weltgrößten Jugendorganisation.
Strenggläubig und reich: die Calvin-Stadt Genf zu Dunants Zeiten
Johannes Calvin (oder Jean Calvin, 1509-1564) war ein Theologe und Jurist. Er musste sein Heimatland Frankreich verlassen, nachdem er sich zum Protestantismus bekehrt hatte. 1541 gelang es ihm, in Genf eine sehr strenge Kirchenordnung einzuführen: Theater, Karten- und Würfelspiel wurden verboten. Andersgläubige wurden verbannt. Umgekehrt zog Genf verfolgte Reformierte aus Frankreich und Italien an. Sie hatten gute Kontakte zu ausländischen Geschäftsleuten. Das kurbelte Industrie und Buchdruck an.